Bürger:innenbrief

Team

Flurina Wäspi, Jan Fivaz, Daniel Schwarz, Annique Lombard

Projektdauer

Januar 2023 bis September 2023

04.07.2023

Wie informieren wir uns vor Wahlen und Abstimmungen? Wie viele unserer Informationsquellen sind parteiisch, wieviele unparteiisch? Die Idee im Teilprojekt «Panel Citoyen» ist es, eine zusätzliche unparteiische Informationsquelle anzubieten. Mit einer kleinen Gruppe führten wir einen ganztägigen Workshop, ein sogenanntes Bürger:innen-Panel durch. Die Teilnehmer:innen befassten sich intensiv mit der Abstimmungsvorlage zum Klimazielgesetz und verfassten innerhalb Bürger:innenbrief mit den wichtigsten Pro- und Contra-Argumenten.

Vier mal im Jahr darf die Schweizer Stimmbevölkerung abstimmen gehen und direkt über Sachthemen entscheiden. Bei diesen Abstimmungen geht es um grosse und wichtige Themen von gesamtschweizerischer Bedeutung, nicht um Kleinigkeiten.

In den meisten anderen Demokratien gibt es diese direkte Teilnahme an der staatlichen Politik nicht in diesem Ausmass. Das Schweizer Politsystem wird wegen dieser direkten Mitbestimmungsmöglichkeit  als eine direkte Demokratie bezeichnet.

Um richtig abstimmen und eine bewusste Entscheidung treffen zu können, brauchen wir  fundierte und verständliche  Informationen zum Sachverhalt. Die Abstimmenden haben die Verantwortung, eine bewusste Stimmabgabe zu tätigen und diese somit auf vorhandene Informationen zu basieren. Diese Informationen sollten dementsprechend korrekt sein und ein möglichst vollständiges Bild der zu entscheidenden Angelegenheit ergeben.

In der Schweiz gibt es hierfür mehrere Kanäle: Das Abstimmungsbüchlein, die Arena und die Erklärvideos von easyVote sind häufig genutzte und bekannte Beispiele. Darüber hinaus gibt es vor den Abstimmungen zahlreiche Artikel und Kommentare in den Tageszeitungen und natürlich Kampagnen der Parteien und Komitees. Nicht alle diese Informationsquellen geniessen das gleiche Vertrauen bei den Stimmberechtigten. Bei den Flyern, Plakaten und Parolen der Parteien ist es offensichtlich: sie sind parteiisch.

Die Idee hinter dem Panel Citoyen ist es, eine weitere, unparteiische  Quelle anzubieten, über die sich die Bevölkerung über eine Abstimmung informieren kann. In diesem Falle sind die Autor:innen zufällig ausgewählte Bürger:innen. Als Gruppe entsprechen sie dabei in ihrer Zusammensetzung hinsichtlichbezüglich Alter, Geschlecht, Bildungsstand und politischer Orientierung möglichst gut der tatsächlichen Stimmbevölkerung.

Das Panel Citoyen gibt dabei keine Empfehlung für die Annahme oder Ablehnung einer Vorlage ab. Es fasst die aus Sicht der teilnehmenden Personen wichtigsten Informationen zur Abstimmung und die jeweils wichtigsten Pro- und Contra Argumente zusammen und gibt diese in eigenen Worten wieder. Zusammen ergibt dies den sogenannten Bürger:innenbrief.

Der Bürger:innenbrief können dann sämtliche Bürger:innen (in unserem Experiment eine Kontrollgruppe)  vor der Abstimmung lesen und sich so über deren Inhalt und die wichtigsten Argumente der Befürworter:innen und Gegner:innen informieren. Der Bürger:innenbrief ist somit dem Abstimmungsbüchlein ähnlich. Er wird aber nicht von der Regierung, sondern von zufällig ausgewählten Bürger:innen verfasst. Bei unserem Workshop haben die Teilnehmer:innen dabei einen hohen Wert auf Verständlichkeit gelegt und bewusst deutliche und einfache Formulierungen gewählt, ohne dass dies eine explizite Vorgabe war.

Je nach Form ist der Bürger:innenbrief kompakter als das Abstimmungsbüchlein. Er kann in kurzer Zeit durchgelesen werden und so zum Beispiel als Startpunkt für weitere individuelle Recherchen dienen. Nach dem Durchlesen des Briefes hat man ausserdem bereits erste Grundlagenkenntnisse, um mit Arbeitskolleg:innen oder Bekannten und Freunden diskutieren zu können.

Der grösste Wert des Bürger:innenbriefs aber ist das Vertrauen in ihn. Da der Brief nicht von Parteien oder Lobbyisten verfasst wurde, sondern von Bürger:innen mit unterschiedlichen Hintergründen und politischen Einstellungen, wird den Informationen mehr Vertrauen geschenkt – zumindest ist dies die Idee dahinter.

Ob sich dies so einlöst und welchen Einfluss ein solcher Bürger:innenbrief auf individuelle Abstimmungsentscheidungen haben kann, wollen wir mit diesem Teilprojekt herausfinden. Die Auswertungen laufen noch, bereits jetzt konnten wir aber wertvolle Erfahrungen sammeln. Unter anderem die, dass sachliche politische Gespräche zwischen Personen mit unterschiedlichen Ansichten sehr wohl möglich sind, ohne dass sich die beiden Parteien dabei sprichwörtlich die Köpfe einschlagen.

Nun, da die Befragung der Kontrollgruppe, also jener Teilnehmer:innen, die den Brief nicht erhalten haben, abgeschlossen ist, können wir den Bürger:innenbrief veröffentlichen.

Eine kurze, persönliche Notiz zum Abschluss: Kurz vor dem Abstimmungstermin habe ich den Bürger:innenbrief nochmals durchgelesen und auch meiner Lebenspartnerin gezeigt. Eine gute Sache, fanden wir, und hätten uns einen ähnlichen Brief auch für die anderen beiden Vorlagen gewünscht, die zur Abstimmung kamen. 

 

Download: Bürger:innenbrief.pdf.