Kommentare und Fragen zum Fuzzy Voting
Im Rahmen der Befragung zum Teilprojekt «Fuzzy Voting» (Differenziertes Abstimmen) konnten die Teilnehmenden freie Kommentare und Fragen einreichen. Eine beachtliche Anzahl Teilnehmer:innen hat dies getan. An dieser Stelle möchten wir auf einige interessante Punkte eingehen.
Die Skala
In unserem Versuch konnten die Teilnehmer:innen ihre Zustimmung zur Klimagerechtigkeitsinitiative auf einer Skala von 0 bis 100% ausdrücken. Einigen war dies zu differenziert - sie wünschten sich eine einfachere 10er- oder sogar 5er-Skala.
Unsere Einschätzung: Dies ist ein Punkt, den man in nachfolgenden Studien genauer anschauen sollte. Die Verknüpfung mit wissenschaftlichen Projekten, die genau solche Fragen abklären, ist darum im Schlussbericht auch Teil unserer Handlungsempfehlungen. Es geht dabei nicht nur um die Anzahl Skalenpunkte, sondern auch um die Darstellung resp. textliche Begleitung derselben.
Die Stimmgewichtung
Einige Teilnehmer:innen äusserten Bedenken, dass ihre Stimme an Gewicht verliert, wenn sie ihre Zustimmung oder Ablehnung differenziert zum Ausdruck bringen, indem sie z. B. 80% Ja stimmen würden. Ein weiterer Kommentar verwies in diesem Zusammenhang auf eine mögliche strategische Stimmabgabe, bei der viele Abstimmende auf eine Differenzierung verzichten würden, um ihre Stimme möglichst stark zu machen. Viele würden trotz persönlicher Unsicherheiten 100% oder eben 0% einlegen, damit ihre Stimme volles Gewicht hätte. Denn am Ende – so beschrieben es zahlreiche Kommentare – endet eine Abstimmung immer mit einer Annahme oder Ablehnung einer Vorlage, also mit Ja oder Nein. Eine differenzierte Stimmabgabe mit beispielsweise 40% oder 60% bedeutet einen freiwilligen Verzicht auf die volle Stimmkraft, wie es ein weiterer Kommentar beschrieb.
Reduktion der Abstimmungsaussage
Weitere Kommentare befassten sich mit den möglichen Konsequenzen solcher freiwilliger «Reduktionen ihrer Stimmkraft». Einige befürchten, dass die Ergebnisse von Abstimmungen dadurch insgesamt an Aussagekraft verlieren. Aus einem sehr vagen Abstimmungsresultat liesse sich kein klarer Auftrag für die Behörden ablesen. Es wäre interpretationsoffen, wie streng oder nah am Wortlaut eine Vorlage umgesetzt werden müsste. Auch ist durch eine differenzierte Stimmabgabe mit entsprechenden Grautönen im Abstimmungsresultat noch nicht eindeutig geklärt, welche Aspekte einer Vorlage zu der wenig eindeutigen Ja-Nein-Aussage geführt hat. Allerdings ist es auch heute so, dass bei einem Ergebnis von 49% Nein und 51% Ja die Vorlage angenommen wird. Auch in diesem Falle hat sich die aggregierte Gesamtbevölkerung nicht klar für oder gegen eine Vorlage positioniert.
Unsere Einschätzung: Strategisches Verhalten ist nicht auszuschliessen und durchaus legitim. Wer sich in dieser Art strategisch verhält, verzichtet gleichzeitig auf die Möglichkeit, mit der Stimmabgabe eine gewisse Unzufriedenheit oder Ambivalenz zu signalisieren. Auf der anderen Seite hat das Fuzzy-Voting-Verfahren des Potenzial, dass Personen, die sich nicht klar dagegen oder dafür entscheiden können und deswegen heute der Urne fernbleiben, bei einem skalenbasierten Verfahren ihre Unentschiedenheit ausdrücken und somit an der Abstimmung auch gültig teilnehmen können. In unseren Handlungsempfehlungen wird die Tatsache angesprochen, dass ein neuer Umgang mit der Interpretation der Ergebnisse gefunden werden muss.
Politische Verzettelung und Polarisierung
Andere Teilnehmer:innen befürchten, dass aus der zusätzlichen vermeintlichen Unsicherheit der Abstimmungsergebnisse weitreichende Konsequenzen für unsere Politlandschaft resultieren. In einem Kommentar wird die Befürchtung geäussert, dass es im Nachgang einer Abstimmung zu «unendlichen Diskussionen darüber, welches Element zu dem skalierten Ergebnis führte» kommen wird. Dies würde dann wiederum die Umsetzung verzögern.
«Zwar bildete es eine zusätzliche Dimension ab, die Abstimmungsergebnisse unterliegen damit aber noch viel stärker als heute den Deutungen und Interpretationen der politischen Parteien. Diese fallen fast zwingend polemisch und damit polarisierend aus.»
Populistische und polarisierende Diskussionen werden von anderen Teilnehmer:innen aber auch schon für den Wahlkampf erwartet. So könnten Parteien versuchen, stärker zu polarisieren und ihre Argumentation im Vorfeld einer Abstimmung extremer formulieren. Andere befürchten in diesem Zusammenhang, dass das differenzierte Abstimmen gerade populistischen Strömungen in die Hände spielen würde, da Bürger:innen die sich von populistischen Argumenten überzeugen liessen, eher 100% oder 0% einlegen würden, als gemässigte und somit differenziert Abstimmende.
Unsere Einschätzung: Diese Gefahren sehen wir weniger. Das Abstimmungsverfahren bezieht sich auf die Zustimmung oder Ablehnung der ganzen Vorlage und nicht darauf, wie viele Prozent einer Vorlage umgesetzt werden sollen oder nicht. Somit unterscheidet sich die Situation nicht von der heute, wenn eine Vorlage mit z.B. 52% angenommen würde. Die Polarisierung der Politik kann zu Problemen führen, dass aber das Abstimmungsverfahren diese Tendenz noch wesentlich befeuern würde, ist nicht zu befürchten. Wie bereits oben erwähnt, müsste sich nach Einführung des Fuzzy-Voting-Verfahrens aber ein neuer Umgang mit der Interpretation von Abstimmungsergebnissen einspielen.
Warum differenziert abstimmen?
Zahlreiche Kommentare stellten grundsätzlich die Sinnhaftigkeit und den Effekt eines «differenzierten Abstimmungsverfahrens» in Frage.
«Das differenzierte Abstimmen ändert nichts an den Inhalten der Vorlage. Auch ist nicht klar ersichtlich, welchem Aspekt einer Vorlage die Bevölkerung mit mehr Skepsis begegnet, sprich was zu einer Reduktion individueller Zustimmung geführt hat.»
Aber noch viel grundlegender scheint der Aspekt zu sein, dass auch bei einem differenzierten Abstimmungsverfahren am Ende eine Vorlage angenommen oder abgelehnt wird. Es gibt auch so insgesamt also ein Ja oder ein Nein. Aus diesem Grund macht es aus Sicht einiger Teilnehmer:innen von Anfang an gar keinen Sinn, sich von den klaren Polen Ja oder Nein zu entfernen, da in der Konsequenz ohnehin eines der beiden resultiert. Als Abstimmende Person müsse man sich also entscheiden, ob eine Vorlage angenommen oder abgelehnt werden soll.
«Am Ende des Tages geht es bei einer Abstimmung um eine Entscheidung für oder gegen etwas. Obwohl ich selbst in den wenigsten Fällen persönlich 100% für oder gegen etwas bin, sehe ich den Mehrwert einer Skalen-basierten Abstimmung nicht.»
und
«Ich kann mir gerade nicht vorstellen, wie das Resultat einer Abstimmung dann aussehen soll. Ein nuanciertes Ja oder ein nuanciertes Nein ist und bleibt doch ein Ja oder ein Nein.»
Für einige Teilnehmer:innen löst die skalenbasierte Abstimmung das eigentliche Problem nicht. Denn eigentlich würden einige gerne differenzierter auf verschiedene Aspekte einer Vorlage eingehen.
«Es sei denn, die Vorlage ist so verschachtelt und hat mehrere Aspekte, dass man eigentlich nur Teilaussagen unterstützt. Da würde ich aber lieber nicht nur 60 oder 70% auf einer Skala wählen können, sondern zu einzelnen Teilaspekten Ja oder Nein sagen können. (Aspekt 1 Ja, Aspekt 2 Nein, Aspekt 3 Ja, Gesamtanliegen deshalb eher Ja). So hätten Initianten beim Scheitern auch einen Anhaltspunkt, woran es lag.»
Unsere Einschätzung: Das ist richtig, das Abstimmungsverfahren ändert nichts am Inhalt der Vorlagen und auch nicht an der Tatsache, dass am Ende ein aggregiertes Ja oder Nein herauskommt. Aber die Wähler:innen können ihre Präferenzen genauer zum Ausdruck bringen oder es kann auch - wie oben bereits erwähnt - dazu führen, dass Wähler:innen, die sich unsicher sind, doch an der Abstimmung teilnehmen, während sie bei einer klassischen Ja/Nein-Abstimmung sich nicht beteiligt hätten.
Den Bericht zum Fuzzy Voting und eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse finden Sie hier: Schlussbericht Fuzzy Voting